Fragen in die Sackgassen zeitgenössischer Jahre
(Auszug)

Rauschen in den Bäumen vor meinem Fenster.
Blätter, Wind, geschlossene Wolkendecke, 24 Grad. Sonntag – was nichts weiter bedeutet. Ein Tag an dem ich aufstehe wann ich möchte, wie meistens an 4 Tagen die Woche.
Frühstück, Zähneputzen, MacBookPro.
Dienstag. Mittwoch.
Weiter eine halbe Stunde Zeitung gelesen, wahrscheinlich länger.
Meistens länger.

Alltag passiert einfach. Tatsachen. Es ist nicht so dass im Alltag irgendwas für etwas stehen könnte.

Was ist das Neue, das Neue ist ein Strand in den Sommerferien an dem noch nicht so viele andere sind.

You don't hate mondays, you hate Pauschalurlaub.

Und alles ist bekannt. Aber nichts scheint ausformuliert.

Aus den Zeitungen weht mir meine Müdigkeit in verschiedenen Aggregatzuständen entgegen. Die Wiederholung der immer gleichen bewussten Ausfälle menschlichen Handelns. Selten schaffts das bis vor meine tatsächlichen Beine aber trotzdem fürchte ich, dass in mir irgendwann alles taub wird. Diese brutale Kontinuität. Nie versiegender Nachrichtenstrom.
Kontinuität my ass.
Allem liegt eine gewisse Ratlosigkeit zugrunde.
Seitwärts in andere Richtungen, geht auch.
Irgendwas wird langsam abgetragen. Wie weit, keine Ahnung.
Immerhin: ich bin gar nicht so allein wie es sich oft anfühlt aber müde.
Nur nicht einschlafen.
Durch Widerstand sie enden? Nur nicht wach bleiben.

Suche Scheitelpunkte.

Die Erdanziehung wirkt wieder stärker auf die Augenlieder, und auch kaum woanders, die augen stellen weniger scharf, ich kann kaum noch lesen, und wovon sollte ich sprechen, alles näher als 40 cm verschwimmt oder wird angezerrt, glitcht, Schlieren. Wenn ich mich jemals bewegt habe, dann bleibe ich jetzt stehen. Bilder von verschachteln Häusern, unruhige Fassaden, düster oder in einem schwachen Blau. Das Licht ändert sich, woanders ein Grollen aus der Fläche über mir und ich schließe meine Augen. Die Augäpfel brennen. Angenehmster Schmerz. Wahrscheinlich zu trocken. Durch den Lidschlag wird die Tränenflüssigkeit über die Hornhaut verteilt. Ich warte. Wenn ich mit den Fingern auf die geschlossenen Augen aussen draufdrücke ein Gefühl wie kurz vorm Orgasmus. Patzig ungelenke Befehlssteuerung in Richtung meiner Finger, aber die absolut richtige Stelle wird sofort erfasst. Meine Haut als umgeschlagene doppelte Oberfläche, Input und Output in eins. Das Gefühl hinter den Augen. Ein Orgasmus der weiter entfernt stattffinden wird, wie mit einem Kissen über dem Gesicht gedämpft. Freude beim Erleben der Distanzen des eigenen Körpers. Die Entfernungen im eigenen Körper werden deutlich. Ich stehe weiter auf der Straße und drücke weiter auf die Augen. Alles wird orange und rötlich durch die Lieder hindurch. Nachbild, der dunkel graue Himmel, die vielen Gitter vor den Fenstern, bis in den 8. Stock hoch, orange die Klimaanlagen und Überhänge an den Häusern rot. Weissliche blitze, Zeichen die ich nicht lesen kann, dazwischen wiedererkennbar immer nur telefonnummern, die ich nie anrufen werde, nur scheinbare verbindungen trotz der unmengen an kabel aussen an den fassaden die sich weiter und weiter ziehen verbunden mit allem, weiter rot und orange von hier aus auf der Straße. Die geschlossenen Augen, in der Ferne ein sich abhebendes Rauschen, nicht genau herauszufiltern durch die anderen Geräusche, eine grüne Markise im Wind, der Stromfluss der beiden Leuchtreklamen neben der Klimaanlage. Nur kurz einzeln differenzierbar, dann geht alles wieder in ein einheitliches Geräusch der Stadt über. Ich sehe 9 Töpfe und Kanister mit Pflanzen unter 2m Größe und gehe weiter.

Alltag passiert einfach, von seiner Bedeutung muss abgesehen werden.
Der Glitzervorhang glitzert.
Alles Umliegende reflektiert der Glitzervorhang.
Die Bedeutung verstellt die Sicht, die Bedeutung verhindert die vielen anderen möglichen Zugänge – subjektiver, kruder, naiver, oberflächlicher, wahrer, verworrener – vielleicht von dort aus näher ran.

Ich steige also in eine Kälte ein. Nicht wie in einen Aufzug sondern wie in einen Sportwagen. Ungelenk mit stacksigen Beinen, wackelnd, dünne, schwarze Striche, meine Beine, die Beine einer Spinne, die Beine einer Fliege, steige, stackse ich in eine Kälte ein wie in eine Fläche, Wolken, ein Foto aus dem Flugzeugfenster raus, von oben, fluffig, undurchsichtig, whirlpoolmäßig, ein Whirlpool, eine Kälte, eine schäumende Fläche, dann näher hin, drunter und drüber, abgelöste Pflaster, treiben umher, viertel Brezeln, undurchsichtige Teilchen, bewegte Hitze, es sprudelt unten und der Geruch von Chlor steigt nach oben, ich liebe den Geruch von Chlor, Nackt bin ich und bakterienlos, ein steriler Traum vom Einstieg und eine Orientierungslosigkeit im Symbolischen.

Die Pflaster sind ganz von allein auf dem Äther aufgetaucht, es gibt keine zugehörigen Verletzungen, der Rest, gehört schon immer zum Interieur, Exterieur, seit seiner Entstehung war es schon immer oder spätestens seit Mitte der Achtziger vorhanden. Zeit spielt keine Rolle. Die Ursprünge sind aus der Umgebung abzulesen. Architektur spiegelt die Seele der Bauindustrie. Ein Blick in die Landschaft genügt um sich selbst zu verorten. Kleine Hügel, kurzes gesund gewachsenes Gras, machmal braune Bäume. Blaue, glatte Fließen umrahmen das Sprudeln. Landschaften die nicht Ausdruck meiner Seele sind.
Wenn alles eins ist warum dann der Ekel vor benutzten Pflastern?

Ich steige also in eine Fläche ein wie ein Insekt langbeinig streng behaart und das whirlpoolige Blubbern, vielleicht ist es noch das Gefühl, der Eindruck der über allem steht oder sich aus allem herausbegibt, weniger wie sehr und wohin, denn eher als Ausdünstungen und Treibgut, als Reinigungsflüssigkeiten und Essensreste, als Hygiene- und kulturelle Standards, überhaupt konstruierte Landschaft, und unter allem versteckt bleibt eine Nackheit die sich kaum selber zu greifen weiß.
Warum also weiter klare Linie entlang?

Es sind zwar die Tage und Wochen die vorüber gehen, aber es sind nur kleine Bitzel die in uns eingetragen werden. Das Gefühl das hinter allem aufwartet bleibt fluffige Orientierungslosigkeit.




Ich weiss das alles mir überlassen bleibt, und es bleibt dir überlassen wie gesagt, aber irgendwo zieht immer eine Macht an mir und ich bin es nicht. Es wächst jetzt wirklich eine weiche Fläche über die Lücke. Wie ein ganz dünner grüner Kunstrasenfilzteppich so haarig, so grün und dünn wie bei einem Billiardtisch, Babyschädelhaut weich legt sich das dünngrün über die Lücke Fontanelle, vom Lufthauch sacht bewegt wie Tücher auf der Leine draussen und streichelt noch gegen die beiden Ufer Enden. Das eine unvollendete Werk, mit jeder eröffnenden Ausstellung werden wir es mehr erkennen können. An allen Wänden entlang, in den Raum gezogen, aufgebaut, eingemeiselt und gehämmert, in Bronze gegossen, in die Adidas Unterhosen der Performer*innen eingenäht und aus jeder ermüdenden gesellschaftskritischen Wörterliste konnte ich es rauslesen und von jedem Poster, es geht nie weg, es wird immer ausgestellt, es wird immer drangenagelt an die großen Themen, an die sterbenden Kätzchen des Neoliberalismus und es kommt mit jeder einzelnen aquarellierten Gehaltsabrechung aber selten gerahmt in den Galleryspace rein. Aufzeichnungen wöchentlicher Niedergeschlagenheit, es entsteht an den Abenden unter den Neonlichtern, die Mittelmäßigen, die Erfolglosen, die graue Masse der vergebens Wartenden, das allumfassende Kunstwerk. Sichtbar, Hörbar, Spürbar, irgendwann, sie riechen auch, die gescheiterten Träume der Unberühmten. Nur einmal Coolsein. Müde Augen, zerdachter Geist, kleiner Geldbeutel, großer Andrang am Buffet. Ich erstelle eine Shortlist der top Galerie Show Häppchen und träume wie ich hungrig auf meiner Einzelausstellung vom Flying Buffet satt werden muss. Horror. Erfolg hat einen Preis den ich nicht mehr zu zahlen bereit bin. Aber. Über die Jahre bedeckt mir weiter der Glaube an meine Unangepasstheit die Wunden die das System gerissen hat. Das System ist gütig, aber es hat seine eigenen Wege und der Weg zu dir bleibt dann leider doch zu mühselig und verkaufsarm – ach Mühsam, ach System. Ja doch, ich sehe die Zeichen nämlich No-Dollar-Signs. Deeper Inhalt und hohe Ansprüche hinein ins pulsierende Karriereloch meiner Brust. Die Bündelung des Unruhms, das Destillat der Uncoolness, Royal Jelly einer unbemerkten Abwesenheit.
Der Geruch vom Weissweinatem im Winter materialisiert sich in eine kleine Wolke und wirft erste Skizzen einer möglichen Vollendung gegen den dunklen Himmel wie das Batman-Signal.





Ich nehme die Finger links von der Tastatur und fasse mich rechts am Arm. Dünne Haare fast einzeln spürbar, gleichzeitig werden bemerkt auf der anderen Seite die groben Linien und die knicke in der Fingerkuppe, das Muster meiner Hand, aber auch die feinen, die Kreise Kringel Elipsen, der Unterarm klebt leicht ist aber wahr, ich fasse weiter oben, die Hand fühlt den kalten Oberarm denkt sich das Gehirn, schreiben die Finger in den Computer. Unentwirrbar rätselhaft denke ich und bin nur zu müde mal zu googeln wie das funktioniert, streiche mit dem Fingernagel über meine Lippe und gehe schlafen.


Fragen in die Sackgassen zeitgenössischer Jahre

Performance Text
2018

mit: T. Elend, J. Gonschorek, P. Nolte, M. VMier
Sound: F. Westphal
Kostüm: K. Pia Von Schütz
Text, Regie, Bühne: Jan Erbelding
@Stiftung Federkiel, München


Fragen in die Sackgassen zeitgenössischer Jahre Performance Setting
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